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um für sich selbst ein Gespür zu bekommen, eine Vorstellung
davon haben muß, was unter dem vollkommen gesunden
Funktionieren eines Menschen zu verstehen ist und wie soll man
zu dieser Erfahrung gelangen, wenn man sie in seiner Kindheit
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oder im späteren Leben nie gemacht hat? Diese Frage ist gewiß
nicht einfach zu beantworten, aber sie weist auf einen sehr
kritischen Punkt in unserem Erziehungssystem hin.
Über der Vermittlung von Wissen geht uns jene Art zu lehren
verloren, die für die menschliche Entwicklung am aller-
wichtigsten ist: die einfache Gegenwart eines reifen, liebenden
Menschen. In früheren Epochen unserer Kultur oder in China
und Indien schätzte man einen Menschen mit hervorragenden
seelischen und geistigen Eigenschaften am höchsten. Auch der
Lehrer hatte nicht in erster Linie die Aufgabe, Wissen zu
vermitteln, sondern er sollte bestimmte menschliche Haltungen
lehren. In der heutigen kapitalistischen Gesellschaft - und
dasselbe gilt auch für den russischen Kommunismus - werden
keineswegs Menschen mit hervorragenden geistigen und
seelischen Qualitäten als Gegenstand unserer Bewunderung und
als Vorbild hingestellt. Im Licht der Öffentlichkeit stehen im
wesentlichen Leute, die dem Durchschnittsbürger stellvertretend
ein Gefühl der Befriedigung geben. Filmstars, Showmaster
Kolumnisten, einflußreiche Geschäftsleute oder Spitzenpolitiker
- das sind die Vorbilder, denen wir nacheifern. Ihre
Hauptqualifikation besteht oft darin, daß es ihnen gelungen ist,
in der Öffentlichkeit von sich reden zu machen. Aber die Lage
erscheint trotzdem nicht ganz hoffnungslos. Wenn man bedenkt,
daß ein Mann wie Albert Schweitzer in den Vereinigten Staaten
berühmt werden konnte, wenn man sich klarmacht, wie viele
Möglichkeiten wir haben, unsere Jugend mit lebenden und
historischen Persönlichkeiten bekannt zu machen, die zeigen,
was menschliche Wesen als menschliche Wesen und nicht als
Entertainer im weitesten Sinn vollbringen können, wenn man an
die großen Werke von Literatur und Kunst aller Zeiten denkt, so
scheint es doch noch eine Chance zu geben, daß wir uns die
Vision einer guten Zukunft des Menschen erhalten und daß wir
sensibel dafür bleiben, wenn der Mensch zu mißlingen droht.
Falls es uns nicht gelingen sollte, die Vision eines reifen Lebens
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lebendig zu halten, so besteht allerdings die Wahrscheinlichkeit,
daß unsere gesamte kulturelle Tradition zusammenbricht. Diese
Tradition gründet sich nicht in erster Linie auf die Übermittlung
bestimmter Arten von Wissen, sondern auf die Weitergabe
bestimmter menschlicher Wesenszüge. Wenn die kommenden
Generationen diese Wesenszüge nicht mehr vor Augen haben,
wird eine fünftausendjährige Kultur zusammenbrechen, selbst
dann, wenn ihr Wissen auch weiterhin gelehrt und
weiterentwickelt wird.
Bisher haben wir uns mit dem beschäftigt, was zur Ausübung
einer jeden Kunst notwendig ist. Jetzt möchte ich mich der
Erörterung jener Eigenschaften zuwenden, die für die Fähigkeit
zu lieben von spezifischer Bedeutung sind. Nach allem, was ich
über das Wesen der Liebe gesagt habe, ist die
Hauptvoraussetzung für die Fähigkeit, lieben zu können, daß
man seinen Narzißmus überwindet. Der narzißtisch Orientierte
erlebt nur das als real, was in seinem eigenen Inneren existiert,
während die Erscheinungen in der Außenwelt für ihn an sich
keine Realität besitzen, sondern nur daraufhin erfahren werden,
ob sie für ihn selbst von Nutzen oder gefährlich sind. Das
Gegenteil von Narzißmus ist Objektivität; damit ist die
Fähigkeit gemeint, Menschen und Dinge so zu sehen, wie sie
sind, also objektiv, und in der Lage zu sein, dieses objektive Bild
von einem Bild zu trennen, das durch die eigenen Wünsche und
Ängste zustande kommt. Sämtliche Formen von Psychosen
weisen die Unfähigkeit zur Objektivität in einem extremen Maß
auf. Für den Geisteskranken gibt es nur eine Realität, die in
seinem eigenen Inneren existiert, die seiner Ängste und
Wünsche. Er sieht die Außenwelt als Symbol seiner eigenen
Innenwelt, als seine Schöpfung. Genau das trifft für uns alle zu,
wenn wir träumen. Im Traum produzieren wir Ereignisse, wir
inszenieren Dramen, die Ausdruck unserer Wünsche und Ängste
sind (freilich gelegentlich auch unserer Einsichten und
Beurteilungen), und wir sind, solange wir schlafen, überzeugt,
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daß das Erzeugnis unserer Träume ebenso real ist wie die
Wirklichkeit, die wir im wachen Zustand wahrnehmen.
Dem Geisteskranken wie dem Träumenden fehlt ein
objektives Bild von der Außenwelt vollständig; aber wir alle [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]

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